Mitfühlende Schweine und altruistische Fledermäuse - ein Einblick in die Emotionen und Gefühle von Tieren
Written on July 8th, 2020 by Elias MüllerFühlen Tiere Leid, wenn wir sie für Tierversuche benutzen, um neue Medikamente zu testen? Fühlen sie mit ihren Artgenossen, wenn sie erleben, wie diese getötet und geschlachtet werden? Sind Tiere generell in der Lage Emotionen und auch Gefühle zu haben, so wie der Mensch? Lange hat die Wissenschaft solche Fragen ignoriert, obwohl schon Charles Darwin behauptet hat: “Die Tiere empfinden wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Unglück”.
Emotionen sorgen dafür, sich so zu verhalten, dass man besser überleben kann. Wenn es also im Gebüsch raschelt, erschrecken sich Vögel, die auf dem Boden sitzen und fliegen weg, denn sie haben sicherlich Angst, dass sie gefressen werden könnten. Sie tun dies instinktiv, wie auch wir instinktiv Angst erleben können und uns dadurch unwohl fühlen. Aber passiert das auch mit Tieren? Setzen auch sie sich bewusst mit der Emotion auseinander und entwickeln daraus ein Gefühl? Leider kann man Tiere nicht so einfach befragen wie den Menschen. Genau das wäre aber sehr hilfreich, um diese Frage zu beantworten, denn messen kann man Gefühle weder beim Menschen noch bei Tieren. Für den wissenschaftlichen Beweis muss man aber angeben, weshalb es sich beispielsweise um Trauer handelt bei diesem Tier, oder weshalb es sich bei diesem Tier um Glück handelt. Um dies tun zu können, werden aus dem Verhalten Rückschlüsse gezogen und es werden biologische Voraussetzungen untersucht.
Das limbische System zum Beispiel, welches bei Menschen für die Verarbeitung von Emotionen zuständig und evolutionär sehr alt ist, besitzen auch viele Säugetiere, wie z.B. Schweine, Hunde, Pferde, Kühe, Ziegen, …, aber auch bei Vögeln und Fischen ist das limbische System vorhanden und somit diese Voraussetzung erfüllt. Aber das allein reicht als Beweis nicht aus, denn niemand weiß, wie weit ein Gehirn entwickelt sein muss, um den nötigen Grad an Bewusstsein zu erlangen, damit Emotionen zu bewussten Gefühlen führen. Auch der Nachweis von Hormonen wie Oxytocin (zuständig für das Mutterglück und Festigung der Liebe zu einem Partner) oder Cortisol reicht nicht aus.
Es wird sogar teilweise behauptet, dass Knorpelfische wie Haie und Rochen keinen Schmerz empfinden können und folglich auch nicht leiden, wenn man ihnen Flossen abschneidet, da sie keine Nozizeptoren besitzen, die zur Schmerzwahrnehmung nötig sind. Krustentiere wie der Hummer, dürfen lebendig und ohne Betäubung gekocht werden, da sie kein zentrales Nervensystem besitzen und angeblich auch keine Schmerzen empfinden können. Völlig absurd, wenn man schon mal das Verhalten eines Hummers in einem angenehm temperierten Aquarium und in einem Kochtopf gesehen hat.
Unter acht Tage alte Ferkel dürfen ohne Betäubung kastriert werden, obwohl sie ein zentrales Nervensystem besitzen und sogar den Spiegeltest bestehen, also auch ein Bewusstsein besitzen. Quälen wir Ferkel auf solch brutale Art, zappeln und quieken sie sehr laut. Die anderen Schweine bekommen das natürlich mit und können mit dem armen Ferkel mitleiden, wie Wissenschaftler/innen der Universität Wageningen in den Niederlanden herausgefunden haben. Hausschweine wurden so konditioniert, dass sie bei dem Klang klassischer Musik Leckerlies in ihren Unterkünften erwarten konnten. Daraufhin freuten sich die Schweine und spielten und sprangen umher, wenn sie klassische Musik hörten. Kamen nun neue Schweine hinzu, die die klassische Musik überhaupt nicht interpretieren konnten, freuten sie sich trotzdem mit ihren Artgenossen und spielten und sprangen, wenn sie die Musik hörten. Ein Beweis, der Verhaltensbiologen ausreicht, um zu sagen, Schweine können empathisch sein. Natürlich sind sie es auch dann, wenn es zum Schlachter geht und sie kollektiv Angst empfinden und den Tod ihrer Artgenossen riechen. Auch bei Mäusen konnten Wissenschaftler/innen der McGill University Montreal deutliche Anzeichen für Mitgefühl nachweisen. Wie fühlen sie sich wohl, wenn sie, in kleinen Behältern in Laboren eingesperrt, mitansehen müssen, wie ihre Mitgefangenen seziert werden?
Ein weiteres Beispiel für bewusstes Verarbeiten liefern Gerald G. Carter und Gerald S. Wilkinson von der University of Maryland. Sie haben Fledermäuse untersucht, die nachts ausfliegen, um Blut zu saugen und anschließend wieder in ihre Kolonien zurückkehren. Dort angekommen würgen sie gesaugtes Blut wieder hoch, um andere Fledermäuse zu füttern, die keinen Erfolg bei der Nahrungssuche hatten. Zwei interessante Dinge konnten die Wissenschaftler/innen herausfinden. Zum einen helfen sie nicht nur verwandten Artgenossen, und zum anderen merken sie sich, wer altruistisch handelt und wer altruistisches Verhalten ausnutzt. Mit diesem Wissen können sie sich bewusste entscheiden, wem sie helfen wollen und wem nicht.
“Es ist die typische menschliche Eitelkeit und Impertinenz des Menschen, ein Tier dumm [und gefühlslos] zu nennen, nur weil sein menschlicher Verstand nicht ausreicht, es zu verstehen.” – Mark Twain
Es gibt viele weitere Beispiele und man muss kein/e Psychologe/in oder Verhaltensbiologe/in sein, um zu erkennen und zu verstehen, dass Tiere fühlen, dass sie leiden, dass sie sich freuen und vieles mehr. Ob sie dies bewusst oder unbewusst tun, ändert nichts an der Intensität, höchstens an der Dauer und an der Art und Weise, wie sie es wahrnehmen. Wieso brauchen wir überhaupt immer einen wissenschaftlichen Beweis, dass Tiere fühlen? Bei unseren Haustieren brauchen wir ihn auch nicht, bei ihnen sind wir uns sicher, dass sie uns vertrauen, dass sie uns mögen und dass wir ihnen kein Leid zufügen. Wieso sprechen wir uns im Zweifel immer gegen die Angeklagten aus? Wir haben doch alle im Biologieunterricht der Schule gelernt, dass wir Menschen auch Tiere sind. Die Natur hat uns nicht völlig neu erschaffen. Wir sind nicht so besonders und einzigartig, wie wir es von uns behaupten. Spät, aber noch nicht zu spät erkennen wir, dass wir das nicht länger ignorieren können. Die Wissenschaft hat das Thema „Emotionen und Gefühle von Tieren“ aufgegriffen und Verhaltensbiologen/innen wie Professor Norbert Sachser sind überzeugt: Die Ergebnisse der Forschung werden den gesellschaftlichen Umgang mit Tieren (zum Besseren) verändern.